Vier Jahreszeiten (1796)
Sommer
19
Wie im Winter die Saat nur langsam keimet, im Sommer
Lebhaft treibet und reift, so war die Neigung zu dir.
20
Neigung besiegen ist schwer; gesellet sich aber Gewohnheit,
Wurzelnd, allmählich zu ihr, unüberwindlich ist sie.
21
Welche Schrift ich zwei-, ja dreimal hinter einander
Lese? Das herzliche Blatt, das die Geliebte mir schreibt.
22
Alle Freude des Dichters, ein gutes Gedicht zu erschaffen,
Fühle das liebliche Kind, das ihn begeisterte, mit.
23
Ein Epigramm sei zu kurz, mir etwas Herzlichs zu sagen?
Wie, mein Geliebter, ist nicht kürzer der herzliche Kuß?
24
Das ist die wahre Liebe, die immer und immer sich gleich bleibt,
Wenn man ihr alles gewährt, wenn man ihr alles versagt.
25
Alles wünscht‘ ich zu haben, um mit ihr alles zu teilen;
Alles gäb‘ ich dahin, wär‘ sie, die Einzige, mein.
26
Was den Jüngling ergreift, den Mann haält, Greise noch labet,
Liebenswürdiges Kind! bleibe dein glückliches Teil.
27
Leben muß man und lieben; es endet Leben und Liebe.
Schnittest du, Parze, doch nur beiden die Fäden zugleich!
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